#Digitalisierung (Part 04) – Die Komplexität der neuen Welt

Der Wirtschaftswissenschaftler Fredmund Malik sieht die „größte Herausforderung der Neuen Welt“ (Malik 2015, S. 12) in ihrer außerordentlichen Komplexität. Dieser Wandel hin zu einem Komplexitätszeitalter benötigt andere Lösungen und Herangehensweisen. Komplexität sollte genutzt werden, um eine Organisation „leistungsfähiger, effektiver, schneller, flexibler und intelligenter zu machen“ (Malik 2015, S. 75). Was nach außen hin als zunehmende Komplexität empfunden wird, manifestiert sich in vier Megatrends, die sich auf das Management vieler Geschäftsprozesse auswirkt. Dazu gehört nach Weiler et al., IndividualisierungVernetzungBeschleunigung sowie Volatilität und Störungen (Vgl. Weiler et al. 2018, S. 13–14.). Diese vier Megatrends sollen im Anschluss kurz erläutert werden:  

Individualisierung – Produkte und Dienstleistungen werden heute individuell auf den Kunden zugeschnitten. Die Variantenvielfalt ist um ein Vielfaches höher und im Einzelfall beträgt die Losgröße 1. Das Umsatzvolumen bricht dadurch in immer kleinere Teile auf. Diese Einzelaufträge führen zu höherer Komplexität bei operativen und planerischen Entscheidungen.

Vernetzung – Die Folgen des Outsourcings sind vernetzte Lieferketten, welche immer komplexere Strukturen annehmen und auf wechselseitigen Abhängigkeiten beruhen. Jeder Partner ist auf den anderen angewiesen und jeder in der Kette verlässt sich darauf, dass der andere seine Lieferzusagen und Termine einhält. Die Koordination der betriebsübergreifenden Prozesse muss daher immer besser aufeinander abgestimmt werden.

Beschleunigung – Der Wettbewerbsdruck erhöht sich in vielen Märkten, da der Kunde immer kürzere Lieferfristen fordert. Schon kleine Verzögerungen können durch die Vernetzung größere Verzögerungen nach sich ziehen. Der Zeitdruck auf operative Entscheidungen ist daher immens.

Volatilität und Störungen – Als Folge von Individualisierung, Vernetzung und Beschleunigung treten eine Vielzahl von unvorhersehbaren Problemen auf. Beispielsweise Eilaufträge, Lieferantenverzug, Maschinenausfall, Transportverspätungen sowie Qualitätsmängel. Diese Störungen treten vermehrt auf und haben deutlich schwerwiegendere Konsequenzen.

In der Fachwelt wird in diesem Zusammenhang auch häufig die Abkürzung VUCA verwendet.

  • Volatilty = Volatilität
  • Uncertainty = Ungewissheit
  • Complexity = Komplexität
  • Ambiguity = Mehrdeutigkeit

Die Kundenerwartungen werden immer höher, Liefertermine kürzer, die Individualisierung der Produkte steigt. Interne Prozesse sind oft nicht optimiert, neue Mitarbeitende haben kaum eine Chance ohne entsprechendes Fachwissen schnell eingearbeitet zu werden. Fachkräftemangel macht es zunehmend schwerer, neue Mitarbeitende zu finden. Gleichzeitig steigen die Anforderungen junger Generationen an ein modernes Unternehmen (Vgl. Breyer-Mayländer 2017, S. 311).

Malik sieht vor allem veraltete Methoden beim Management als Ursache für die Unfähigkeit mit Komplexität umzugehen. So halten viele Unternehmen an veralteten Strukturen fest und versuchen Komplexität zu reduzieren, anstatt diese zu nutzen. Voraussetzung für den digitalen Wandel ist daher, das Wissen über Komplexität und wie man damit richtig umgeht (Vgl. Malik 2015, S. 12–13).

Die erste Erkenntnis besteht darin, dass ein komplexes, dynamisches Problem sich nicht definitiv lösen lässt. Schwaninger empfiehlt deshalb die systemische Denkweise anhand von Modellen. Systemisch bedeutet, einen ganzheitlichen Ansatz zu wählen. Ein Modell ist deshalb wichtig, da es hilft, Wirkungszusammenhänge zu erkennen und den dahinterstehenden Problemen auf den Grund zu gehen. Natürlich sind die Ergebnisse nur so gut wie das Modell selbst, deshalb ist die Modellqualität sehr wichtig. Ein gutes Modell zeigt die Strukturen auf, die in der Tiefe von komplexen Problemen verborgen sind. Mit systemischen Methoden und Konzepten können komplexe Sachverhalte und dynamische Zusammenhänge verstanden und gemeistert werden (Vgl. Schwaninger 2017). Der im letzten Artikel vorgestellte Gartner Hype Cycle ist beispielsweise ein solches Modell um den Reifegrad von Technologien besser zu verstehen.

Wissenschaftliche Definition Digitalisierung – Abschließende Zusammenfassung

In diesem und den vorangegangenen Artikeln wurden die verschiedenen Facetten der Digitalisierung beschrieben, um daraus ein möglichst vollständiges Bild des aktuellen Begriffsverständnisses zu zeichnen. Da Digitalisierung oft als Synonym verwendet wird, existiert bis heute keine einheitliche Definition des Begriffs und Experten sind sich uneins über die weiteren Entwicklungen. Hier lohnt ein Blick in die Kommentare der LinkedIn-Umfrage von Christoph Pacher, denn dort wird sehr gut deutlich, dass jede(r) etwas anderes Unter dem Begriff versteht. Auch bezüglich der Folgen und Nutzen des digitalen Wandels zeigt sich, dass es sowohl Befürworter(innen) als auch Kritiker(innen) gibt.

Werden alle Aussagen zusammengefasst, so lassen sich drei Bereiche identifizieren, die charakteristisch für das Begriffsverständnis von Digitalisierung stehen. Zum einen die klassische Digitalisierung wie in Artikel 1 und 2 beschrieben. Die Umwandlung von analogen Informationen in digitale, wie es schon seit Jahrzehnten praktiziert wird.

Im zweiten Bereich steht der Einsatz von Software zur Automatisierung und andere, sich ständig weiterentwickelnde, digitalen Technologien, wie beispielsweise ERP-Systeme oder der Themenkomplex rund um die Industrie 4.0. Viele davon finden sich auf dem Gartner Hype Cycle wieder. Die Leistungsfähigkeit von Technologien wird manchmal überschätzt, was zu einem Hype führt, allerdings sind nach einigen Jahren Entwicklungszeit, sofern die Technologie angenommen wird, oft signifikante Verbesserungen erkennbar. Diese gilt es auf ihren Nutzen hin zu analysieren.

Der dritte Bereich repräsentiert die digitale Transformation bzw. den digitalen Wandel. War die digitale Revolution im 20. Jahrhundert vorwiegend auf die Ebene der industriellen Produktion begrenzt, stehen im 21. Jahrhundert neue innovative und disruptive Geschäftsmodelle im Fokus der Digitalisierung. Die Ursachen sind in den Trends Individualisierung, Vernetzung und Beschleunigung zu finden, was wiederum zu mehr Komplexität in allen Lebensbereichen führt. So gut wie alles ändert sich, wie Malik in seiner These definiert: „Was wir tun, wie wir es tun und warum wir es tun – und auch wer wir sind.“ (Malik 2015, S. 12.) Diese drei Bereiche machen den Kern des heutigen Begriffsverständnisses von Digitalisierung aus.

Abbildung 1: Die drei Dimensionen der Digitalisierung eigene Darstellung in Anlehnung an Bendel (Vgl. Bendel 2018)

(Dieser Artikel erschien ursprünglich am 20. Januar 2021 auf meinem LinkedIn-Account.)

Quellen:

  • Bendel, Oliver (2018): Definition: Digitalisierung. Gabler Wirtschaftslexikon. Online verfüg-bar unter https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/digitalisierung-54195/version-277247, zuletzt aktualisiert am 19.02.2018, zuletzt geprüft am 15.01.2021.
  • Breyer-Mayländer, Thomas (2017): Management 4.0 – den digitalen Wandel erfolgreich meistern // Management 4.0 – Den digitalen Wandel erfolgreich meistern. Das Kursbuch für Führungskräfte. München: Hanser.
  • Malik, Fredmund (2015): Navigieren in Zeiten des Umbruchs. Die Welt neu denken und gestalten. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Campus-Verlag. Online verfügbar unter http://gbv.eblib.com/patron/FullRecord.aspx?p=4693061.
  • Schwaninger, Markus (2017): Komplexität systemisch meistern. In: Wirtschaftsinformatik & Management (2/2017), S. 20–21.
  • Wagner, Rainer Maria (2018): Einleitung: Industrie 4.0 und Digitalisierung – Erfolgspotenziale für Unternehmen. In: Rainer Maria Wagner (Hg.): Industrie 4.0 für die Praxis, Bd. 34. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 3–13.
  • Weiler, Adrian; Savelsberg, Eva; Dorndorf, Ulrich (2018): Agile Optimierung in Unternehmen. Das Unplanbare digital managen. 1. Auflage. Freiburg, München, Stuttgart: Haufe Group; Haufe Lexware Verlag (Haufe Fachbuch).

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